13.12.2021

Zwischen Sorge und Hoffnung. Griechische Erwartungen an die neue Regierung Deutschlands

Ein Kommentar zur Regierungsbildung in Deutschland und den Erwartungen Griechenlands, von Georgios Pappas (Deutschland-Korrespondent ERT/TA NEA)

Ambivalenter könnten die Gefühle der Griechen gegenüber der neuen Regierungskoalition in Deutschland nicht sein. Das Ende der Ära Merkel wurde in Griechenland eher mit Erleichterung aufgenommen, beliebt war die Kanzlerin in Griechenland wohl nie. Während der Schuldenkrise im vergangenen Jahrzehnt sind Angela Merkel und der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble für viele Griechen eher zum Symbol einer deutschen Hegemonie in Europa geworden.

Mit der Übernahme des Finanzministeriums durch FDP-Chef Christian Lindner werden in Griechenland manche Albträume aus der Zeit der Schuldenkrise wieder lebendig. Lindner hatte als Oppositionspolitiker ausgerechnet Schäuble eine zu laxe Haltung gegenüber Athen vorgeworfen, noch schärfere Maßnahmen für das hochverschuldete Land gefordert und dem Grexit das Wort geredet.

Griechenland ist inzwischen über dem Berg. Dennoch wird in Athen mit Bangen spekuliert, welchen Kurs der neue Finanzminister in Berlin im Hinblick auf die Reform des EU-Stabilitätspaktes einschlagen wird – wird Lindner zum zweiten Schäuble?

Lindner wird wohl kaum vom Spar-Saulus zum Investition-Paulus mutieren. Aber mit einem SPD-Kanzler, Olaf Scholz, und einem Grünen-Vizekanzler, Robert Habeck, kann der FDP-Finanzminister schlecht den Zuchtmeister Europas spielen, wenn gleichzeitig die eigene Regierung eine höhere Staatsverschuldung anstreben sollte. Im Übrigen überraschte Christian Lindner kürzlich mit Lobeshymnen für den Reformeifer der Regierung von Kyriakos Mitsotakis, bezeichnete sie sogar als Beispiel für Deutschland.

"Die Bundesrepublik wird in Europa auf Stabilität achten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Investitionen in Wettbewerbsfähigkeit freigesetzt werden“, sagte Lindner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags in der Bundespressekonferenz am Tag vor der Regierungsübernahme. Er fügte hinzu: „Für uns ist dabei ein Orientierungspunkt die beeindruckende und erfolgreiche Politik der griechischen Regierung. Es ist dort in der letzten Zeit gelungen, mit sehr beeindruckenden Reformmaßnahmen die griechische Volkswirtschaft auf einen neuen Erfolgskurs zu bringen. Das muss umgekehrt für Deutschland sogar Anspruch sein, ähnlich ambitioniert zu werden, wie die griechische Innenpolitik es ist."

Die neuen Töne aus Berlin wurden mit Genugtuung in Griechenland registriert, haben aber die Sorgen vor Lindner nicht vollends tilgen können. Jenseits dieser Personalie hatten aber bereits im Vorfeld der Kanzlerwechsel und die Regierungsbeteiligung der Grünen in Athen Hoffnungen auf einen Neustart der Beziehungen mit Deutschland geweckt.

Aus gutem Grund: Bundeskanzler Scholz hat den Politischen Direktor des Auswärtigen Amtes zu seinem außen- und sicherheitspolitischen Berater gemacht. Jens Plötner ist ein guter Kenner Griechenlands, er diente zwischen 2017-2019 als Botschafter Deutschlands in Athen und förderte die Verständigung zwischen Deutschen und Griechen.

Die Grünen hatten im März 2021 mit einem Antrag im Bundestag weitreichende Schritte für einen Dialog über die griechischen Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg gefordert. Der Antrag hatte im Bundestag keine Mehrheit gefunden, dennoch bindet er die grüne Außenministerin, Annalena Baerbock. Wenn auch in sehr abgespeckter Form, findet das Thema im Koalitionsvertrag unter dem Kapitel „Erinnerungskultur“ Niederschlag. Auf Seite 125 des Koalitionsvertrages steht wörtlich: „Gerade gegenüber unseren europäischen Nachbarn empfinden wir eine besondere Verantwortung; aber auch die aktuellen Debatten etwa in Griechenland oder der Ukraine zeigen, dass die gemeinsame Aufarbeitung nicht abgeschlossen ist“.

Das bedeutet bei Weitem keine Kursänderung Deutschlands im Sachen Reparationszahlungen. Dennoch öffnet sich ein kleines Fenster für den Beginn eines Dialogs über das einzige, ungelöste, bilaterale Problem zwischen Deutschland und Griechenland. So ein Dialog würde die während der Eurokrise strapazierten deutsch-griechische Beziehungen enorm entlasten. 

 

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